[Rezension] Carl Frode Tiller – Kennen Sie diesen Mann?

Endlich konnte ich wieder ein Buch aus meinem SuB (Stapel ungelesener Bücher) befreien. Ein Rezensionsexemplar, das ich vom btb Verlag bekommen habe, vielen Dank dafür! Jedoch beeinflusst das meine Meinung nicht.

David hat sein Gedächtnis verloren, und sucht via Zeitungsannonce nach Verwandten und Freunden, die etwas über ihn erzählen können und seine Erinnerungen auffrischen können. Dieser Zeitungsannonce sind Silje, Arved und Jon gefolgt, die in langen Briefen über Davids Kindheit, Jugend und Familie erzählen. Jeder hat ein anderes Bild von ihm, und doch ergeben die drei Briefe ein Gesamtbild über David, ohne ihn aktiv in das Geschehen einzubinden.

Die Geschichte beginnt mit Jon, der versucht, sein Leben als Berufsmusiker voranzutreiben. Von Schwierigkeiten geplagt, speziell mit seiner eigenen Familie, zögert er nicht, von David zu erzählen. David und Jon, beide durften ihre ersten sexuellen Erfahrungen gemeinsam erleben, mussten aber erkennen, dass dies nicht von Dauer sein wird. Im Kontext steht dazu Silje, die eine langjährige Beziehung mit David hatte, die aber durch beider Studium an verschiedenen Standorten beendet wurde. Silje ist nicht glücklich. Psychische Probleme gefolgt von Eheproblemen prägen ihren Alltag, bei dem der Leser nicht ganz sicher ist, ob diese selber verschuldet sind oder nicht. Im mittleren Teil erzählt Arved über David. Arved war Davids Stiefvater, und erzählt, wie Davids Mutter Arved, den Dorfpfarrer, geheiratet hatte, und bis zu ihrem Tod mit ihm zusammen lebte. In dieser Familienbande kochten viele Probleme hoch, denn das Trio um Jon, David und Silje gibt alles, um genau so zu sein, wie sie eben nicht sein sollen. Das Trio rebelliert, wo es nur kann.

Doch bleibt die Frage: Wer ist David wirklich? Was macht ihn persönlich aus? Das, was Arved, Silje und Jon schildern, sind Eindrücke von aussen.

Zugegebenerweise hat mich der Klappentext sehr angesprochen. Wie ist das für jemanden selber, sein Gedächtnis zu verlieren und nicht zu wissen, wer man ist? So habe ich auch eher eine Erzählperspektive von David erwartet, und nicht von Protagonisten, die ihre Eindrücke von aussen her schildern. Die Zeitungsannonce wird wirklich kurz von Arved in etwa der Mitte des Buches erwähnt, David selber bleibt aber irgendwie aussen vor. Vielmehr wird ein Bild von einer Gruppe Menschen geprägt, dessen Mitte zwar David ist, aber dieser Charakter lässt viel Spielraum zur Selbstinterpretation. Mein Eindruck war, dass einerseits David Kern dieser Geschichte ist, aber nicht in den Focus gerät. Er ist der, der die Freunde mit ihren Familien zusammen hält.

Ebenso seltsam muteten die Geschichten der Freunde an: keine Familiengeschichte läuft harmonisch ab. Jon leidet darunter, dass seine Familie seine Karriere als Berufsmusiker zum Scheitern verurteilt hat. Sein Bruder hat die Mutter voll im Griff, geht seinen Bruder aber bei jeder Gelegenheit an. Jon selber fehlt die positive Komponente im Leben, er nörgelt an allem herum, wo er nur kann. Die Ehe von Arvid und seiner Frau Berit schien belastet zu sein. Es wirkt, als hätte Berit nur einen sicheren Hafen gesucht, um ihren unehelichen Sohn David aufzuziehen. Besonders schwer wird es für Arvid, als Berit sich für mehr für Samuel interessiert als für ihn selber. Silje selber provoziert immer wieder Streit mit ihrem Mann, der seine Frau immer weniger versteht.

Die Protagonisten selber fand ich durchaus ausgearbeitet. Jedoch irritierte mich immer wieder, dass David selber so eine untergeordnete Rolle spielte. Nach Jons Erinnerungen, die er mit David teilt, hoffte ich, dass nun David in den Vordergrund gerückt wird. Leider blieb der Hauptprotagonist ein unsichtbares Phantom. Der Schreibstil holperte für mich manchmal, gerade bei den Erinnerungen von Silje. Es wiederholte sich manches, und war für mich störend zu lesen.

Die Grundidee dieses Buches fasziniert mich nach wie vor. Ein Mann, der scheinbar sein Gedächtnis verloren hat, bittet um Erinnerungen seiner Mitmenschen. Für mich ist das ein interessantes Gedankenspiel, denn oft vermutet man ein ganz anderes Bild von sich selber, das auf andere gar nicht so wirkt (Eigenbild/Fremdbild). Und doch hinterlässt dieses Buch für mich einen fragwürdigen Eindruck. Ein Buch, von dem ich was ganz anderes erwartet habe. Eine Geschichte, die ich nicht einfach zu lesen fand, und von der ich nicht behaupten kann, dass sie mich weder überzeugt hätte noch enttäuscht. Auch wenn ich jetzt einige Zeit über das Buch nachgedacht habe, komm ich für mich nicht zu einem abschließenden Urteil, ob mir das Buch gefallen hat. Es hatte definitiv seine Vorzüge durch das Thema, aber die Umsetzung konnte mich mit mancher negativen Stimmung nicht überzeugen.

Veröffentlicht von Kupfi

Mein Name ist Kupfi, und ich liebe Bücher über alles! Aber auch gute Kinofilme, Salonmagie und Musik

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